"Der Gott, der Eisen wachsen ließ,

der wollte keine Knechte,

drum gab er Säbel, Schwert und Spieß

dem Mann in seine Rechte."

Quelle: Ernst Moritz Arndt. "Vaterlandslied" (1812)

 

 

 

 

 

Ernst Moritz Arndt, dessen literarisches Schaffen sich von der Französischen Revolution bis weit über die deutsche 48er Revolution hinaus erstreckt, gilt heute als äußerst problematische Figur. Die einschlägigen Literaturgeschichten ordnen ihn teils der Romantik (Herbert und Elisabeth Frenzel), teils der sogenannten „Kunstepoche“ (Wolfgang Beutin) zu, im Wesentlichen gewinnt man aber den Eindruck, dass auch die Literaturwissenschaft die Auseinandersetzung mit Arndt meidet. Seine Dichtung ist, wovon die seinem Vaterlandslied entnommenen oben zitierten Zeilen ein deutliches Zeugnis ablegen, in höchstem Maße politisch. Sie wirkt wie eine demagogische Hetzkampagne und ist in einer Zeit, in der die Europäische Integration an die Stelle imperialistischer Konfrontation getreten ist, nicht mehr opportun – und Gott sei dank auch nicht mehr funktional.

Als Arndt das deutsche Volk zu den Waffen rief und damit durchaus für den preußischen Staat propagandistisch tätig wurde, galt es, der Diktatur Napoleons Einhalt zu gebieten. Er stellte seine Dichtung damit in den Dienst der Freiheit, und zwar der Freiheit von napoleonischer Herrschaft, die für ihn auch den Anlass bildete, Frankreich im Rahmen seiner Ausführungen über den Volkshass zum Feindbild hoch zu stilisieren. Frankreich wird für Arndt zur Reibungsfläche, an der sich der Freiheits- und Einheitswille einer deutschen Nation herauskristallisieren muss, die als Staatsnation noch nicht existiert und genau genommen bis dato auch noch nicht existiert hat, denn das Heilige Römische Reich deutscher Nationen verstand sich in erster Linie als christliches Reich vieler Völker in der Nachfolge des römischen Imperiums.

Einheit und Freiheit sind die beiden dominierenden politischen Ziele, die seit den napoleonischen Befreiungskriegen das Bildungsbürgertum beschäftigt und bis zur deutschen Revolution des Jahres 1848 politisiert haben. Das Wartburgfest 1817 sei in diesem Zusammenhang ebenso genannt wie das Hambacher Fest 1832. Ernst Moritz Arndt reiht sich ein in die deutsche Nationalstaatsbewegung. Heinrich von Kleist steht ihm mit seinem Drama „Hermannschlacht“ in nichts nach. Dass man die Methoden, mit denen die Ziele Einheit und Freiheit angestrebt wurden, heute hinterfragt, ist berechtigt und ein Beweis für eine Gesellschaft, die sich weiterentwickelt hat.

Ob man Ernst Moritz Arndt deshalb als Namenspatron unserer Schule für untragbar halten muss, sei dahingestellt. Seine Ziele Einheit und Freiheit waren zum Zeitpunkt der Schulgründung 1955 höchst aktuell. Die deutsche Teilung wurde durch die Aufnahme der beiden deutschen Teilstaaten in unterschiedliche Militärbündnisse auch auf internationaler Ebene institutionalisiert. In einer Grenzregion, zu der Herzberg nun einmal gehörte, passte Ernst Moritz Arndt mit seinen Zielen (deutsche) Einheit und Freiheit (für den anderen Teil Deutschlands) gut ins Bild. Berücksichtigt man, dass die NATO das strategische Konzept der „massive retaliation“ propagierte, stellt man fest, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg militärische Drohgebärden nicht verpönt waren.

Die Namensgebung unserer Schule ist ein Stück deutscher Geschichte. Die Ambivalenz Ernst Moritz Arndts bleibt dabei für unsere Europaschule ein permanenter Gegenstand eines fruchtbaren (pluralistischen) Diskurses. Dazu gehört aber auch, einer zunehmenden Cancel Culture nicht ohne Überzeugung nachzugeben. Es geht bei einem patrocinium nicht oder zumindest nicht nur um die Person, sondern um eine Facette dieser Person (sein Leben, sein Werk, sein Leiden etc.), die wir uns nutzbar machen. An Shakespeare interessiert uns die meisterhafte Bildhaftigkeit seiner Sprache, nicht der im „Kaufmann von Venedig“ zum Ausdruck kommende Antisemitismus. Goethe wird von uns nicht deshalb als Bildungsgut verworfen, weil er in Marienbad Ulrike von Levetzow nachstellte, die seine Enkelin hätte sein können. Wer die makellose Vita und noch dazu die epochenunabhängige moralische Akzeptanz aller Aussagen eines Namenspatrons sucht, landet sehr schnell bei Titeln wie Waldgymnasium, Gymnasium Domeyerweg oder Gymnasium an der Sieber.

Frank Niederstraßer